Wo die neuen Animationsserien her kommen

24 Sep

Der europäische Finanzierungsmarkt für Animationsserien Cartoon Forum, der jedes Jahr im September im französischen Toulouse stattfindet, bleibt auch in seinem 27. Jahr eine Erfolgsgeschichte. Mit 950 Teilnehmern, davon 260 Vertreter von Fernsehsendern, Video-Plattformen wie Netflix und Förderern wurde erneut ein Teilnehmerrekord aufgestellt.

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Zwischen den Präsentationen im Centre de Congrès Pierre Baudis in Toulouse © CARTOON/Hélène Mambourg

Doch Marc Vandeweyer, General-Direktor von CARTOON, die den Finanzierungsmarkt organisiert, geht es nicht um Rekorde. „Wir wollen nicht möglichst viele Teilnehmer, sondern möglichst viele finanzierte Projekte“, sagte er und verwies auf einen anderen, sehr viel aussagekräftigeren Erfolg: „Noch nie in der Geschichte von Cartoon Forum, waren die Projektpräsentationen so gut besucht! Teilweise waren 600 Menschen gleichzeitig in den Präsentationen.“ Bei Cartoon Forum präsentieren Produzenten ihre Ideen für Animationsserien in drei parallel stattfindenden Veranstaltungen.

In der Regel besucht man diese Pitches nur, wenn man sich an ihnen als Koproduzent beteiligen oder sie als Fernsehsender oder anderer Vertrieb kaufen möchte. Oft will man aber auch nur wissen, was die anderen so machen. [Zahlen und Statistik am Ende des Artikels.]

Animationsserien für Erwachsene

Großes Interesse generieren immer wieder Animationsserien für Erwachsene. Dabei gibt es bei den Fernsehsendern im Grunde überhaupt keine Programmplätze für Animationsserien, die sich an junge Erwachsene und Erwachsene wenden.

In diesem Jahr schaffte es die Serienideen WIND-UPS, eine Idee der Spanierin Irene Chica, auf einen der vordersten Plätze der am meisten besuchten Präsentationen. Darin beschäftigen sich aufziehbare Sex-Spaß-Spielzeuge miteinander und ihrer Lust.

Der Saal war total überrannt und Marc Vandeweyer verkündete daraufhin launig: „Alles was mit Sex zu tun hat, wird demnächst im großen Saal vorgestellt.“

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The Wind-Ups (c) www.leonstudio.tv

Er nutzte das große Interesse aber auch, um den Sendern ein Umdenken nahe zu legen: „Sendeplätze für Erwachsenenanimation gibt es im Grunde nur im Web, nicht bei den Sendern“, erinnert er.

„Daher sollten sich die Sender mal ernsthaft überlegen, wie sie Sendeplätze dafür finden, denn das Interesse ist immens und wenn diese Art Serien nur im Netz zu bekommen sind, gehen die jungen Leute erst recht weg.“ Überhaupt scheint die Animationsbranche generell vor einem Umbruch zu stehen.

„Eine neuen Generation taucht auf und rüttelt alles auf“, lautet für Vandeweyer ein weiteres Fazit. Als einen Hinweis dafür zieht er MR. CARTON, eine Serie für Kinder im Vorschulalter, die 2015 vorgestellt wurde, sowie TOBY ALONE (dt: TOBIE LOLNESS), eine Serie für die ganze Familie heran, die von der französischen Firma Tant Mieux Prod vorgestellt wurde.

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TOBY ALONE (c) www.tantmieuxprod.net

TOBY ALONE basiert auf dem erfolgreichen Kinderbuch von Timothée de Fombelle, das die erste Qualitätsserie im Animationsbereich werden könnte, soll sie doch als 13-teilige Serie mit 52-minütigen Folgen entstehen.

Das ZDF hat hier schon Interesse angemeldet, obwohl de facto der Sendeplatz (noch) fehlt. Allerdings entspricht die Geschichte um einen Jungen auf der Flucht, der mit seinem nur millimetergroßen Volk in einem Baum lebt, für das er das komplette Universum darstellt, auch dem Anspruch von ZDFneo.

Dem würde es gut zu Gesicht stehen, wenn es seine erst kürzlich angekündigte Produktionsinitiative auf die in Deutschland bisher stiefmütterlich behandelten Bereiche Familien-, Teenager- und Erwachsenenanimation ausdehnen würde. Mit der ebenfalls horizontal erzählten Serie DIE LANGEN GROSSEN FERIEN des Studios Les Armateurs hat das ZDF bei ZDFtivi bereits sehr gute Erfahrungen gemacht, sie allerdings als zehnteilige Halbstunden-Serie ausgestrahlt. Die Serie ist auch auf Netflix verfügbar.

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DIE LANGEN GROSSEN FERIEN (c) Les Armateurs

Netflix als neuer Player

Während Netflix in diesem Jahr als potentieller Käufer von Serien zum ersten Mal am Cartoon Forum teilnahm, kam Amazon nach seinem Besuch im vergangenen Jahr nicht wieder. Zwar waren noch andere Streaminganbieter vor Ort, doch dem Interesse galt natürlich der Firma, die alles ins Rollen brachte: Netflix.

Allerdings bekam kaum jemand die Netflix-Vertreterin zu Gesicht, so dass das Gerücht aufkam, sie sei – wie im vergangenen Jahr – doch nicht gekommen. Marc Vandeweyer beruhigte jedoch alle: „Sie ist da und hat auch sehr viele Gespräche geführt.“ Die Ergebnisse möchte Cartoon dann gerne Ende des Jahres veröffentlichen.

Sicher ist nur, dass es eine Vereinbarung mit Paul Young und seiner Firma Cartoon Saloon aus Irland gibt. Der mit seinen Film THE SECRETS OF KELLS 2010 für einen Oscar nominierte Young bestätigte die Vereinbarung und erzählte, dass Netflix nach allen Arten von Animation Ausschau hält. Unklar bleibt jedoch inwieweit sich die Firma als Finanzier bzw. Koproduzent engagiert oder nur als Lizenznehmer.

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Nominiert für den Oscar als Bester Animationsspielfilm 2010: THE SECRET OF KELLS (c) Cartoon Saloon

Bedeutung für die Branche

Es gibt einige Veranstaltungen, wo sie die Animationsbranche trifft, um sich zu vernetzen und neue Projekte zu besprechen, doch keines ist wie Cartoon Forum so gut dazu geeignet auf europäischer Ebene in Kontakt zu bleiben, sich persönlich zu treffen und das Geschäft voran zu treiben.

Hier besteht die richtige Mischung aus Produzenten, Investoren, Sendervertretern, Umgebung, Ruhe und Zeit, um sich auszutauschen. Von Getriebenheit und Hektik ist nichts zu merken. Immer wieder findet man spontan zu kurzen Gesprächen zueinander und wenn man das Thema vertiefen möchte, verabredet man sich unkompliziert für ein ausführlicheres Gespräch an einem ruhigeren Ort für später.

Dabei wird immer wieder die Offenheit und Hilfsbereitschaft betont und gelobt, die zwischen den Teilnehmern herrscht. Es ist deutlich zu merken, dass alle ein gemeinsames großes Ziel verfolgen, auch wenn die Interessen von Produzenten und Sendern nicht immer so ganz deckungsgleich sind – aber so ist das in einer Familie: im Grunde steht man zusammen, auch wenn es im Kleinen immer wieder Differenzen gibt, die es zu lösen oder auszuhalten gilt.

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Gesprächsrunde während Cartoon Forum © CARTOON/Hélène Mambourg

Facts & Figures

In diesem Jahr wurden 80 Projekte vorgestellt. Davon richteten sich 46 Projekte (58 Prozent) an Kinder (6 bis 8 Jahre: 33 Projekte und 9 bis 11 Jahre 13 Projekte), 21 (26 Prozent) an Vorschulkinder, 8 Projekte (10 Prozent) an Teenager und junge Erwachsene und 5 (6 Prozent) an Familien.

Die meisten (45 Projekte/56 Prozent) sollen in klassischer 2D-Animation entstehen, 16/20 Prozent in 3D-Animation, 15/19 Prozent in einer Mischform und 4 Projekte (5 Prozent) in anderen Formen wie Stop-Motion oder Legeanimation.

42 der Projekte (52 Prozent) sind cross-medial angelegt und sollen auch auf anderen Plattformen weitergeführt werden. Der große Zuspruch an Teilnehmern und Käufern dürfte auch daran liegen, dass sich die Branche im Aufwind befindet, der sich schon im vergangenen Jahr manifestierte, als Marc Vandeweyer feststellte: „Mehrere Produzenten erzählten, dass ihre Auftragsbücher über zwei, drei Jahre gefüllt seien. So etwas habe ich schon lange nicht mehr gehört.“

Wirtschaftliche Bedeutung für den Gastgeber

Wie immer stellte Frankreich mit 26 Projekten die größte Anzahl der Stoffe vor. Dann folgten Großbritannien mit 9 und Irland mit 8. Belgien, Deutschland und Spanien waren mit je 4 Projekten vertreten. Für Frankreich ist Animation ein großer kultureller und wirtschaftlicher Faktor. Läuft man durch Toulouse kommt man in der Innenstadt ständig an Comicläden vorbei.

Für Toulouse und die Region Midi-Pyrénées ist Cartoon Forum eine wichtige Plattform, die dafür gesorgt hat, dass sich die Investitionen in Animation in der Region seit 2012 vervierfacht haben, wie Dominique Salomon, die für Kultur zuständige Vize-Präsidentin der Region, im vergangenen Jahr berichtete.

Der Einsatz dafür beträgt 700.000 Euro pro Jahr, den sich die Region, die Stadt und das Land (über die nationale Förderung CNC) teilen. In diesem Jahr sprach Carole Delga, die Präsidentin der Regionalverwaltung Occitanie/Pyrénées-Méditerranée, und sagte: „Cartoon Forum ist das Sprungbrett für europäische Kreativität im Animationsbereich.

Jeder vom Staat in die Region investierte Euro generiert insgesamt 20 Euro, darin sind 7 Euro für Arbeitsplatzbeschaffung in der Region bereits mit drin.“ Dies wird u. a. damit erreicht, dass 3 Prozent des öffentlichen Budget in die Kultur gesteckt wird. In der Region Occitanie/Pyrénées-Méditerranée werden von den dort ansässigen Firmen pro Jahr 898 Minuten Animation hergestellt.

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Carole Delga, Präsidentin der Regionalverwaltung Occitanie/Pyrénées-Méditerranée © CARTOON/Hélène Mambourg

Neuer Schwerpunkt

Zum ersten Mal fand in diesem Jahr ein Länderschwerpunkt statt, der Irland gewidmet war. Damit möchte man einzelnen Ländern ein Forum geben so wie dies noch üblich war, als Cartoon Forum jedes Jahr in einem anderen Land statt fand. Dies ist aus finanziellen und logistischen Gründen jedoch nicht mehr möglich.

„Das Spotlight Irland hat uns sehr geholfen“, zieht Paul Young ein erstes Fazit. „Gerade den jungen Studios, denen dadurch die Gelegenheit gegeben wurde sich vor der europäischen Branche zu präsentieren.“ Beim Cartoon Forum waren zwölf irische Firmen anwesend. Die irische Animationsbranche ist durch eine geschickte Förderpolitik von 90 Jobs Ende der 90er Jahre auf mittlerweile 1700 gewachsen.

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Einige der Iren bei Cartoon Forum – im blauen Kleid die irische Botschafterin in Frankreich Geraldine Byrne Nason – und mit Hut: Paul Young © CARTOON/Hélène Mambourg

Fazit 25 Jahre Cartoon Forum

In den Jahren 2005 bis 2015 wurden 42 Prozent der vorgestellten Stoffe umgesetzt. 36 Prozent beträgt die Quote für die ersten 25 Jahre von Cartoon Forum. Finanziert wurden einschließlich der bei Cartoon Forum 2015 vorgestellten Serien insgesamt 680 Projekte mit einem nominellen Volumen von 2,3 Milliarden Euro, so Marc Vandeweyer voller Stolz.

Ein Business-Insider relativierte die Zahl jedoch, die auf den gegenüber Cartoon gemachten Angaben basieren: „Am Ende des Tages sind die Budgets gute 30 Prozent niedriger. Eingespart wird das dann leider bei der Produktion.“

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Animations-Hub Cartoon

CARTOON wurde 1987 im Rahmen des europäischen MEDIA-Programms gegründet, um die europäische Animationsbranche enger zu vernetzen, zu fördern und ihr ein wirtschaftlich kreatives Zentrum zu geben. Das Konzept des Programms mit seinen zahlreichen Einheiten wurde von Marc Vandeweyer und Corinne Jenart entwickelt, die 2008 als Mitorganisatorin CARTOON verließ.

Das jedes im September ausgerichtete Cartoon Forum wendet sich an die TV-Branche und fand 2016 zum 27. Mal statt. Auch im kommenden Jahr wird es wieder im südfranzösischen Toulouse ausgerichtet.

Der Finanzierungsmarkt für Animationsspielfilme Cartoon Movie findet im März ebenfalls in Frankreich, in Lyon, statt. Darüber hinaus bietet CARTOON Masters an, die sich den Themen Finanzierung von TV-Serien, Nutzung digitaler Techniken und Kinofilm widmen. Zusätzlich wurde Cartoon Connection ins Leben gerufen, das die europäische Animationsbranche mit denen in Kanada und Korea verknüpfen will.

Seit 2015 gibt es das Cartoon Springboard zur Förderung von Nachwuchsprojekten in Halle an der Saale.