Warum es mit der deutschen HBO-Serie vorerst nichts wird

31 Aug
Masters of Sex
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Wenn es abends früh dunkel wird, beginnt wieder die Zeit für lange Serienabende. Neue Serien starten, erfolgreiche gehen in die nächste Staffel. Und in Deutschland wird dann wieder darüber lamentiert, dass hierzulande keine Serien von der erzählerischen Qualität und Tiefe entstehen, wie sie die Skandinavier mit „Borgen“ oder „Die Brücke“ schaffen oder die amerikanischen Kabelsender mit „Masters of Sex“ oder „House of Cards“. Doch warum ist das so? Können und wollen deutsche Sender, Autoren und Produzenten diese Art von Serie überhaupt? Ein Blick in Gegenwart und Zukunft.

Zuerst muss man wohl eines gerade rücken: Die Qualitätsserie für eine spitze Zielgruppe ist in Deutschland ein Minderheitenprogramm. Quoten wie mit „Um Himmels Willen“ und „Der Bergdoktor“ sind hiermit nicht zu erzielen. Und: „Wenn wir von US-Serien reden, reden wir nicht von den Flops, denn auch in den USA werden viele Serien bereits nach wenigen Folgen oder einer Staffel wieder abgesetzt“, erinnert Jochen Ketschau, Senior Vice President Deutsche Fiction & Koproduktion bei ProSiebenSat1.

Fast jeden Tag gibt es neue Meldungen zum Thema deutsche Serie.
Warum ich dennoch nicht so ganz glücklich mit der Entwicklung bin, habe ich in diesem Beitrag in meinem Blog auf der Huffington Post formuliert.

Trotz eines seit Jahren anhaltenden Bedürfnisses an zeitgemäß erzählten Geschichten haben es die deutschen Sender bis heute nicht geschafft, den hochgelobten Skandi-Krimis oder den TV-Romanen oder Serial Drama genannten Serien der US-Kabelsender, dauerhaft etwas eigenes entgegen zu setzen. Die Marktanteile liegen einfach zu niedrig, als dass die privaten Sender solche Serien refinanzieren könnten und ARD und ZDF berufen sich auf ihren Auftrag, nach dem sie Programm für alle machen müssen, dies aber nicht an der Vielfalt der Programme und Zuschauer-Milieus fest machen, sondern an der Quote. Aber gerade die mit einer nicht verhandelbaren Haushaltsabgabe ausgestatteten Sender sieht man in der Pflicht neue Wege zu gehen. „ARD und ZDF haben ein höheres Budget, sind subventioniert, können besser ins Risiko gehen, und bei ihnen sollte die Quote eigentlich keine Rolle spielen“, argumentiert Jochen Ketschau. Auch Marcus Ammon, Senior Vice President Film bei Sky Deutschland, betrachtete die Entwicklung von Qualitätsserien zurückblickend vor allem als Aufgabe von ARD und ZDF: „Wenn jemand die budgetären Mittel hatte, um eine Serienkultur in Deutschland entwickeln zu können, dann die öffentlich-rechtlichen Sender – die jedoch trauen sich bisher aber nur zögerlich

ARD und ZDF in der Pflicht

Lange haben sich ARD und ZDF mit diesen unermüdlich vorgebrachten Vorwürfen schwer getan. Lange Zeit haben sie sie abgewehrt, jetzt beginnen die Rückzugsgefechte und eine Hinwendung zu neuen Serienideen und auch vorsichtigen Schritten zu horizontal erzählten Serien, in denen die Charaktere tief und nachhaltig ausgelotet werden. Doch ob sie die Erwartungen der Fan-Gemeinde erfüllen, ist keineswegs ausgemacht. Das serielle Erzählen in Form eines Serial Drama ist in Deutschland mit Ausnahme von „Weißensee“ und „KDD – Kriminaldauerdienst“ bislang nicht erprobt („Stromberg“ und „Türkisch für Anfänger“, die noch in die Liste passen, sind Comedy). Hierzulande steht der Movie, der Event, der Mehrteiler im Fokus, wenn Fernsehen ‚tiefgründiger‘, ‚intelligenter‘ unterhalten soll, erklärt Heike Hempel, Leiterin der Hauptredaktion Fiktion des ZDF. Wenn man also einen Vorwurf erheben kann, dann wohl nur den, dass man zu sehr an dem kleben bleibt, was erfolgreich ist und nicht versucht Erfolge zu nutzen, um in ihrem Windschatten Neues auf den Weg zu bringen. Dies bestätigt eine Feststellung, die Bernhard Gleim, Vize-Leiter Serien beim NDR bei der MEDIA-Veranstaltung „The Serial Quartett“ im Januar in Berlin, machte: „Die starken Reihen und Movies verhindern, dass sich die deutsche Serie wirklich entwickeln kann.“

Aus diesem Grund kann eine Veränderung nur durch die Verschiebung der Sehgewohnheiten geschehen, wie sie gerade ganz massiv erfolgt. Den Sendern ist mittlerweile auch klar geworden, dass sie Zuschauer verlieren, weil sie ihnen schlicht kein Angebot jenseits der Massenbespaßung machen und man hier nur durch eine Fragmentierung des Angebots gegensteuern kann. Dennoch kann man sich nicht des Gefühls erwehren, dass Veränderungen nur halbherzig und mit angezogener Handbremse erfolgen.

„Serien mit einem solch hohen Produktionsniveau und der enormen monetären sowie produktionstechnischen Ausstattung wie in den USA sind für uns wirtschaftlich nicht abbildbar“, erklärt Jochen Ketschau das Ausbleiben der großen Serienoffensive zumindest für den privaten Bereich. Immerhin handelt es sich beim Serial Drama der US-Kabelsender um Serien, deren einzelne Folgen – je nach Aufwand – zwischen zwei und drei Millionen US-Dollar kosten können.

Es bewegt sich was – aber mit Bedacht

Hatten sich die Sender bisher mit den verschiedensten Argumenten darum gedrückt in die Serienentwicklung nach Vorbild der US-Serial-Dramas zu gehen, akzeptieren sie mittlerweile, dass es auch in Deutschland ein starkes Bedürfnis für das Serial Drama gibt, das sie besser bedienen sollten. „Die Serie wird in Deutschland eine größere Rolle spielen“, verspricht Heike Hempel für die Zukunft, schränkt jedoch auch ein: „Aber wir müssen uns besser auf sie einstellen und auch im sog. Event-Bereich seriell erzählen, so dass wir bei Miniserien Ähnliches erreichen wie bei unseren Mehrteilern, bei denen wir traditionell sehr gut aufgestellt sind, Themen setzen, eine hohe Aufmerksamkeit erreichen und auch mit Auslandsverkäufen reüssieren.“

Auch in der ARD ist Aufbruchstimmung angesagt. „Neben ‚Weißensee‘ werden noch weitere Mini-Serien kommen“, kündigt Jana Brandt, die Serienchefin der ARD an. Unter Miniserie versteht sie horizontal erzählte Sechsteiler, was nicht den US-Kabelserien entspricht, die zwischen zehn und 13 Folgen pro Saison haben. Allerdings ist es aus Jana Brandts Erfahrung nicht einfach geeignete Stoffe zu finden. „Oft genug stimmt die serielle Grundidee nicht“, hat sie fest stellen müssen. „Viele Ideen sind nicht serientauglich sondern lediglich sehr gute Fernsehfilme.“ Aber wenn man als Kreativer jahrelang durch das System des Redakteursfernsehen mit seinen Gängelungen daran gehindert wurde Ideen wie „Homeland“ zu entwickeln, verwundert es wenig, wenn es jetzt Startschwierigkeiten gibt. „Uns fehlt einfach die Kultur“, stellt Anke Greifeneder, als Senior Executive Producer Local Productions von Turner Broadcasting System Deutschland unter anderem verantwortlich für die deutsche Serienentwicklung bei TNT Serie, nüchtern fest. „Vieles, was uns vorgeschlagen wird, spiegelt statt der immer eingeforderten kreativen Freiheit vorauseilenden Gehorsam.“ Sprich: endlich von der Leine haben die Kreativen Angst vor der erreichten Freiheit bzw. sind nicht in der Lage sie zu nutzen. Da zwingt sich die Frage förmlich auf, wer überhaupt in der Lage ist genau die Serien zu schreiben und zu produzieren, die immer wieder gefordert werden!

Können Deutsche überhaupt Serial Drama?

„Wer kann es? – Das ist eine spannende Frage“, sagt Marcus Ammon. „Allerdings kann sie noch nicht final beantwortet werden. Mit Sicherheit gibt es Autoren, die es können, aber warum sollten sie, wenn sie genau wissen, wie ‚Unser Lehrer Dr. Specht‘ funktioniert und das auch gewünscht wird?!“ Andererseits weiß der Sky-Filmchef, dass viele Kreative allzu gerne Serien für einen Abonnement-Sender nach dem Vorbild von HBO machen möchten. „Seit einem guten Jahr wird über das Thema gesprochen. Wir treffen uns mit Produzenten und Autoren, diskutieren ein gemeinsames Verständnis von Pay-TV, nötige Differenzierungsmerkmale vom Free-TV und überlegen, wie man zusammen kommen könnte“, erzählt er.

Noch scheint man nicht am Ziel zu sein, denn im Augenblick engagiert sich Sky nicht bei deutschen Eigenproduktionen, sondern als Koproduzent der Serie „100 Code“, die die ProSiebenSat.1-Tochter Red Arrow International für den schwedischen Sender Kanal 5 produziert und bei Tom Tykwers ARD-Serie „Babylon Berlin“. Damit sollen Erfahrungen gesammelt werden, die beizeiten in die perspektivisch geplanten Eigenproduktionen fließen sollen.

Erste Kabel-TV-Serie

Weiter ist da TNT Serie. Der deutsche Kabelsender hat mit „Add a Friend“ mit Ken Duken in der Hauptrolle die erste Kabel-TV-Serie gemacht, die insgesamt drei Staffeln haben wird. „Der Erfolg hat uns angespornt weitere Serien auf den Weg zu bringen“, sagt Anke Greifeneder, verantwortlich für die Serienentwicklungen bei TNT Serie. Aber auch bei TNT Serie reflektieren die eingereichten Serienideen nicht immer die lautstarken Forderungen. „Viele tun sich schwer etwas vorzuschlagen, was nicht auch bei Pro Sieben oder RTL läuft“, hat Anke Greifeneder festgestellt. „Die eingeforderten Freiheiten, die die Autoren und Produzenten bei uns haben, werden kaum genutzt. Es ist schon etwas frustrierend was so vorgeschlagen wird.“

Aber es geht voran. TNT Serie bereitet gerade die nächste Serie vor und weitere werden folgen. Denn es gibt gute Autoren, das sehen Anke Greifeneder genauso wie Marco de Ruiter, Managing Director Fox International Channels, dem zweiten deutschen Kabelsender, der mit deutschen Serienentwicklungen punkten will: „Mangelnde Kreativität scheint mir das geringste Problem zu sein. Arbeiten müssen wir vor allem an einer Verbesserung des Umfelds, der Infrastruktur, die es bisher nicht erlaubt hat, dass Serien-Autoren ihre Kreativität voll entfalten können.“

Wertschätzung für Autoren

Ein ziemlicher Knackpunkt. „Aufgrund unserer Historie fehlt für Autoren die Wertschätzung in Deutschland“, ist Anke Greifeneder überzeugt. „Es gibt gute Autoren, aber wenn man bedenkt, was für eine Stellung Autoren in Deutschland haben, kann man noch enorm viel tun. Viele schreiben hierzulande alleine oder zu zweit.“ Für die Serienchefin ist das ein klares Zeichen dafür, das man sich selbst klein hält. „Die Leute müssen merken, dass sie das dürfen, was sie kreativ schaffen wollen. Autoren müssen unterstützt, gefördert und aufgebaut werden“, sagt sie und setzt es für TNT Serie auch um: „Wir können den Autoren die nötigen Freiheiten geben! Wir vertrauen ihnen und lassen sie machen. Nur so erhalten wir die Qualität, die sowohl sie, als auch wir erreichen möchten.“ Dem stimmt Markus Ammon unumschränkt zu: „Nur wenn man sich von Quote und anderen Beschränkungen frei macht, kann man kreativ denken.“

Mit dieser Philosophie stehen die Kabelsender nicht allein. Auch Jochen Ketschau von ProSiebenSat.1 schüttelt den Kopf darüber, wie Potentiale gedankenlos niedergetrampelt werden. „Ideen sind zarte Pflanzen, die schnell sterben“, weiß er aus Erfahrung. „Das verdirbt die Kreativität und verhindert genau die Formate, die wir fordern und suchen.“

Ketschau hält nichts davon, wenn man während einer Entwicklung zu viele Meinungen berücksichtigen muss. „Dann kommt da auch nur Durchschnitt raus“, stellt er fest, grenzt aber ein, dass die Erfahrung des Senders, was bei seinem Publikum funktioniert und was nicht, ab einem bestimmten Stadium der Entwicklung berücksichtigt werden muss. Ketschau sieht sich als Partner der Kreativen, wünscht sich aber von ihnen auch, mehr Durchsetzungskraft aufzubringen, die es in Pitching- und Buchgesprächen in der Regel braucht. Als neuen Weg des Pitching favorisiert Ketschau ein Stimmungsvideo, mit dem der Produzent Look, Feel und Genre seiner Idee visualisiert, anstatt die Ideen auf Papier abstrakt darzustellen.

Was wollen deutsche Sender?

Die Anforderungen und Interessen, die die Sender mit ihren Serien verbinden, sind durchaus unterschiedlich. Bei den vier großen Sendern gehören eigenproduzierte Prime-Time-Serien zum Anspruch und Selbstverständnis als Vollprogramme. Während die Privaten mit ihnen Geld verdienen müssen, müssen dies ARD und ZDF nicht. Dennoch steht auch bei ihnen die Quote hoch im Kurs. Das Gegenteil wird zwar behauptet, aber solange hohe Quoten stolz per Pressemitteilung in die Welt gejagt werden, hört sich dies nicht überzeugend an. Aber auch den Kabelsendern geht es darum, durch interessante Angebote Zuschauer zu bekommen.

„Die Einschaltquote ist letztendlich zweitrangig“, sagt Marcus Ammon klar. „Die Menschen sollen davon überzeugt werden, dass sie sich tatsächlich ‚besseres Fernsehen’ gönnen, wenn sie ein Abonnement abschließen.“ Das geschieht mit exklusiven, attraktiven Nischen-Inhalten, zu denen auch Serien gehören. Die Sky-Geschwister in Großbritannien und Italien produzieren schon eigene Serien. „Wir bewegen uns über die Koproduktion ‚100 Code‘ dahin“, sagt Marcus Ammon. „Die erste deutsche Sky-Eigenproduktion ist davon abhängig, wann wir den richtigen Stoff finden – wir wollen da keine Kompromisse machen – und wie sich das Unternehmen wirtschaftlich entwickelt. Wir werden uns nicht drängen lassen.“ Schließlich betrachtet Ammon Sky so wie sich HBO sieht: als eine Galerie, in der Künstler ihre Kunstwerke ausstellen, die sie ohne Bevormundung durch den Galeristen geschaffen haben.

Das größere Problem ist Geschichten und Milieus so zu wählen und zu erzählen, dass sie glaubwürdig auch in Deutschland funktionieren können. Es gibt viele Milieus, die in Deutschland nicht funktionieren oder nicht übertragbar sind. Unser Rechtssystem funktioniert z.B. ganz anders als in den USA. Oder Politik. Die beiden Versuche – 2005 „Kanzleramt“ vom ZDF und 2002 „Die Hinterbänkler“ von Sat.1 – waren grandiose Fehlschläge. „Mit unseren TV-Events ‚Der Rücktritt‘ und ‚Der Minister‘ haben wir Mut bewiesen und erfolgreich Politik auf den Sender gebracht, aber als Serie gibt es keine Idee dazu auf dem Markt“, sagt Jochen Ketschau. „Was das angeht, hätten wir gerne mehr solcher mutiger und qualitätsversprechender Stoffe. Autoren und Produzenten sind hiermit dazu aufgefordert, entsprechende Ideen zu liefern.“ Anke Greifeneder sieht es ähnlich: „Wir haben im Sender ernsthaft über das Thema diskutiert. Aber Politik ist bei uns nicht sexy und selbst wenn es eine gute Idee für eine Serie gibt, wäre es eine hohe Kunst sie umzusetzen.“

Folgerichtig warnt Heike Hempel denn auch: „Was die Milieus angeht, sollten wir nicht in die USA schauen. Von dort können wir zwar lernen, wie erzählt wird – und da sind wir sicherlich oft genug zu zögerlich – aber wir müssen unsere eigenen, deutschen Themen finden und entwickeln.“ Schützenhilfe bekommen sie von dem dänischen Serienmann Sven Clausen (u.a. „Der Adler“), dem der deutsche Serienmarkt nicht risikofreudig genug ist: „Man muss etwas schaffen, was in der DNS einer Nation verankert ist – aber das ist nicht leicht!“

Angekündigte Eigenproduktionen der Sender

Der Wille etwas zu verändern, ist auf allen Seiten auszumachen. Neben den Seriensendeplätzen am Dienstag wird die ARD im kommenden Jahr zunächst einmalig an sechs Abenden am Donnerstag die Möglichkeit eröffnen, neue Serien zu platzieren.

Auch das ZDF arbeitet mit verschiedenen neuen Serien an seinem Serienimage. Das von Programmchef Norbert Himmler angekündigte deutsche „Breaking Bad“ wird „Morgen hör’ ich auf“ heißen und von einem Geldfälscher im Taunus handeln.

Sat.1 gibt nach wie vor nicht auf. Der Sender hat diverse Formate in der Entwicklung, weitere werden gesucht. RTL wird sich zu gegebener Zeit mit Ankündigungen zu Wort melden. TNT Serie dreht die neue Serie im Herbst, Fox wird loslegen sobald es das richtige Projekt gefunden hat, was gleichermaßen für Sky gilt.

Dieser Artikel erschien ursprünglich im Medien Bulletin 5/2014