Das Ende der analogen Kopie

28 Jan

Die Kinos in Deutschland haben die Umstellung von analoger auf digitale Projektion Ende 2013 nahezu abgeschlossen. Seit Beginn der Digitalisierung Mitte 2009 standen neben der Technik auch die Kosten der Umrüstung im Fokus. Dabei galt es, vor allem die kleineren für die Kinokultur unentbehrlichen Einrichtungen zu unterstützen. Das erklärte Ziel der Digitalisierung war von vorn herein die Abschaffung der analogen Filmrolle. Das hat einschneidende Folgen für die Postproduktion, den Verleih bis hin zur Archivierung – Berufe verändern sich, sterben aus.

„Ende des Jahres wird die analoge Filmvorführung in der normalen Auswertung keine Rolle mehr spielen“, sagt Johannes Klingsporn, Geschäftsführer des Verbands der Filmverleiher. De facto aber ist sie jetzt schon aus den meisten Kinos der Republik verschwunden. Kleinere Verleihe bieten seit September 2013 überhaupt keine analogen Kopien mehr an, da sie sich das Parallelangebot von analoger und digitaler Kopie nicht leisten können.

Die Major-Verleihe lieferten bei Starts mit über 500 Kopien bis Ende 2013 noch 100 bis 150 analoge Kopien aus, um ihre Filme auch in jenen Multiplex-Sälen unterzubringen, die noch nicht umgerüstet waren, damit ihre Blockbuster möglichst flächendeckend in den Kinos laufen. Ein einheitlicher Stop der Analogkopie ist aus kartellrechtlichen Gründen nicht möglich, aber eine Umfrage des Hauptverbands deutscher Filmtheater (HDF) suggeriert, dass ihr Ende schon in diesem Frühjahr zu erwarten ist.
Insgesamt gibt es in Deutschland laut Filmförderanstalt (FFA) 1644 Kinos mit 4.607 Leinwänden an 904 Standorten (Stand vom 30. Juni 2013), die ganzjährig bespielt werden, mit kontinuierlich sinkender Tendenz. Um zu verhindern, dass die kleineren Kinos wegen der Digitalisierung den Bach runter gehen, fanden die Filmförderinstitutionen des Bundes, der Länder sowie der Verband der Verleiher im Sommer 2010 ein Modell, wie sie die Umstellung der sogenannten Kriterienkinos fördern wollten. Betroffen waren etwa 1.600 Leinwände. Die Förderung wurde auf fünf Jahre angelegt, doch nach jetzt drei Jahren ist die Umrüstung so gut wie abgeschlossen. Selbst jene Kinobetreiber, die der Digitalisierung immer ablehnend gegenüber standen, „knickten“ bei diesem Angebot ein. Mit ihm war der Damm gebrochen und die Frage war nur noch, wie schnell man umrüsten könne, um nicht abgehängt zu werden. Auf die Digitalisierung angesprochen, erklärte der Mitarbeiter eines Berliner Kiezkinos: „Wir mussten umrüsten, sonst hätten wir keine Filme mehr bekommen.“

Kostenersparnisse durch Stellenstreichungen

Dadurch haben sich die Jobs in den Filmtheatern in den letzten Jahren sehr verändert. Bei den großen Ketten oder Kinogruppen, in den Multiplexen, fallen Filmvorführer weg, wodurch sich gerade für diese Betriebe deutliche Kostenersparnisse ergeben. Bei kleinen Betrieben, die ihre Leute halten, kann dagegen weniger gespart werden. Zudem haben die Projektionisten in kleineren Kinos schon seit einigen Jahren nicht mehr nur vorgeführt. In ihren Aufgabenbereich fielen auch Kassentätigkeit und Einlass. Aber auch bei digitalem Betrieb muss sich jemand darum kümmern, dass der Film auf die Leinwand projiziert wird, selbst wenn der normale Programmablauf auch von einer zentralen Stelle außerhalb des Hauses gesteuert werden kann, wie es CinemaxX bereits macht. „Es kann immer etwas Unvorhersehbares geschehen und der Vorführer in seiner neuen Form übernimmt unausgesprochen auch die Verantwortung, denn auch die digitale Technik braucht einiges an Wissen und Fertigkeit“, sagt ein Vorführer, der die Transition von analog auf digital mitgemacht hat.
Bei CinemaxX waren rund 200 Mitarbeiter in der Projektion tätig, davon 54 in Vollzeit. Die anderen waren vor allem Teilzeit-Kräfte wie Studenten und Minijobber. Wobei viele der Teilzeit-Mitarbeiter sowohl im Service-Bereich als auch in der Projektion tätig waren. Bei UCI mussten sich 130 Mitarbeiter auf die Veränderungen einstellen, darunter eine große Zahl Teilzeit-Beschäftigte. Viele von ihnen haben neben den Vorführaufgaben andere Einsatzgebiete im Kino gehabt, insbesondere in der Haustechnik sowie im direkten Servicebereich (Karten- und Thekenverkauf bzw. Saaleinlass). Cinestar macht keine Angaben, aber laut Thomas Winzberg vom ver.di-Fachbereich 8 sind es 200 bis 250 betroffene Mitarbeiter. Gemeinsam ist allen Multiplex-Betrieben, dass sie ihren Mitarbeitern ein Angebot zur Weiterbeschäftigung im Servicebereich gemacht haben, fallweise in Abhängigkeit von der betrieblichen Situation auch in anderen Bereichen, z.B. als Assistent in der Theaterleitung. Am offensten hat sich CinemaxX zu der Situation geäußert. Angesichts der absehbaren Entwicklung hatte der Betrieb bereits 2010 mit ver.di einen Tarifvertrag entwickelt, der im Januar 2011 in Kraft trat. Er sieht im Regelfall eine Weiterbeschäftigung als Servicekraft mit entsprechender tariflicher Vergütung vor. Außerdem wurde für die Dauer von drei Jahren eine abschmelzende Ausgleichszahlung für den betroffenen Mitarbeiter vereinbart. Wurde eine Abfindung angeboten, entschieden sich fast alle dafür, berichtet Thomas Winzberg. „Bei den meisten gab es Unmut über die Entwicklung der Digitalisierung“, sagt er. „Aber man war auch glücklich über die Abfindung.“
An anderer Stelle entsteht neue Arbeit. Wer blieb und in den Service ging, musste Lohneinbußen akzeptieren. Es sei denn, man gehörte zu den wenigen, die in die Theaterleitung wechseln konnten oder eine gleichwertig bezahlte Stelle als ‘Haustechniker’ bekamen, der sich um die digitale Vorführung und die gesamte Technik kümmern muss. Davon ausgenommen ist allerdings die Reparatur der Abspieltechnik. Aufgrund von Anti-Piraterie-Maßnahmen, die den Projektor bzw. Server bei unautorisiertem Öffnen blockieren, kann er nur von einer Service-Firma repariert und gewartet werden. Auch bei ihnen entstehen neue Jobs, die für ehemalige Vorführer attraktiv sind. So sind zwei Vorführer der mittelständischen Yorck-Gruppe, die Kinos in Berlin und München hat, zu einem Dienstleister für digitale Kinotechnik gewechselt. Insgesamt betraf die Umstellung bei der Yorck-Gruppe zwölf Stellen. Ehemalige Vorführer, die im Betrieb geblieben sind, können sich vorrangig auf frei werdende Stellen bewerben. Dennoch sind bei der Gruppe durch die Digitalisierung nur 10 bis 15 Prozent der Arbeitsstunden weggefallen. In der Verwaltung etwa und auch bei der digitalen Vorführtechnik fallen natürlich noch immer Arbeiten an. Die Filme müssen im Kino auf die Server geladen werden und je nach Lage und Typ des Kinos werden Werbung und Trailer noch individuell abgestimmt. Und bei Sonderveranstaltungen muss ohnehin jemand für die Vorführtechnik vor Ort sein. Bei Premium-Kinos mit Platzservice etwa wird die Länge des Vorprogramms darauf abgestimmt, ob alle Zuschauer ihre Bestellungen erhalten haben. Dies und der Start des Hauptprogramms muss händisch erfolgen.

Verlust von Identität

Der Verlust des Arbeitsplatzes ist eine Sache, aber beim Filmvorführer verschwindet zudem ein kompletter Beruf. Das wiegt schwer. Da hilft es dem überzeugten Vorführer wenig, dass dieser Beruf im Westen immer ein Anlernberuf war, den auch Teilzeitkräfte ausüben konnten, die später andere Berufe im Filmbereich ergriffen haben, wie der Regisseur Tom Tykwer etwa („Cloud Atlas“). Und für ehemalige DDR-Vorführer ist es noch schwerwiegender. Für sie war es ein Ausbildungsberuf bis hin zur Meisterprüfung.
Aber auch die analoge Technik ist in den letzten Jahren immer einfacher und zuverlässiger geworden und hat dadurch das Berufsbild verändert. Filmrisse und Überblendungen waren längst die Ausnahme und die Vorführer hatten mehr Zeit für andere Dinge. Dennoch: „Mit der Umstellung der Vorführtechnik entfällt das Identitätsstiftende der Arbeit der Filmvorführer“, sagt Christian Bräuer, Geschäftsführer der York-Kinobetriebe. Deshalb haben es viele Vorführer auch vorgezogen ihre alten Arbeitgeber zu verlassen, anstatt eine andere, geringere Beschäftigung im Betrieb zu übernehmen. Wer geblieben ist, dem droht der Bore Out, erzählt der bereits erwähnte Vorführer entspannt im leeren Foyer eines Berliner Kinos, während im großen Saal der zweieinhalb Stunden-Film „Der Medicus“ läuft. „Mit der neuen Technik bin ich unterforderter als vorher“, erzählt er. „Es ist beruflich einfach erfüllender, wenn man das Gefühl hat, etwas Substantielles zu tun zu haben.“ Aber ihm ist auch klar, dass der Zuschauer ein gutes Bild zu schätzen weiß und analoge Kopien aufgrund der mechanischen Beanspruchung nach einer gewissen Zeit nervige Gebrauchsspuren aufweisen.
Einst war der Job eines Filmvorführers eine harte, die Bandscheiben belastende Arbeit. Er musste schwere Filmrollen in den Vorführraum wuchten (und wieder raus), die einzelnen Rollen zu einer großen Rolle zusammenfügen, auf einen Spulenturm packen, den Film einlegen, den Projektor starten, die Schärfe kontrollieren und ggf. von einem Projektor zum nächsten überblenden, ohne das es das Publikum merkt. Heute hingegen muss er den Film von der angelieferten Festplatte auf den Server laden, kontrollieren, ob der Schlüssel – das Passwort – für den Film korrekt ist, und die Playlist des Vorprogramms, das er sich zuvor aus dem Netz geladen hat, entsprechend der Vorgaben der Theaterleitung einrichten. Das kann jeder, der sich seine eigene Musiklisten für den mp3-Player zusammen stellt und weiß, was ein USB-Stecker ist.

Die Digitalisierung geht weiter

Doch die Digitalisierung hat bei der Projektion nicht Halt gemacht. Damit einher geht die Steuerung aller Prozesse im Kino durch ein Theater Management System (TMS). Es übernimmt nicht nur die Steuerung der Saalautomatik, also Licht und Vorhang, das Starten des Projektors, die Kasse, sondern demnächst auch noch den ticketlosen Einlass mit Barcodes auf Smartphones, wie es bei der Bahn und den meisten Fluggesellschaften schon üblich ist.
Die großen Gewinner dieser Entwicklung sind die Zuschauer und die Verleihe, während die Kinobetriebe den Großteil der Kosten schultern müssen. So sind etwa erhöhte Strom- und Wartungskosten entstanden und ein perfektes Bild erzwingt auch eine entsprechende Aufrüstung beim Ton und der allgemeinen Ausstattung, sprich eine Modernisierung der Kinos. Eine Erhöhung der Eintrittspreise ist kein Ausweg, zumal davon bis zu 50 Prozent als Leihmiete an den Verleih gehen. Zwar haben die Verleihe die Umrüstung der Kinos auf digitale Projektion nach langem Hin und Her finanziell unterstützt, doch wenn die jetzige Generation der Projektoren ausgetauscht werden muss, wird das allein Sache der Kinos sein. Gleichzeitig aber machen die Verleihe keine Anstalten, die Miete für die Filme zu senken. Von den Ersparnissen durch den Wegfall der kostspieligen analogen Kopien und der Transportkosten bekommen die Kinos nichts ab. Damit die kleinen Kinos ebenfalls von der Kostenersparnis der Digitalisierung profitieren, fordert der Kinobetreiber Verband AG Kino-Gilde in einem Anfang Januar veröffentlichten Positionspapier die Senkung der Leihmiete auf durchschnittlich 39 Prozent. Alternativ, so der Verband, zahlen die Verleiher weiterhin einen Beitrag für die Folgekosten der Digitalisierung. Außerdem fordert der Verband, dass ab der 6. Spielwoche auf die teure Verschlüsselung, die die Filme vor Piraterie schützt, verzichtet wird, um Nachspiel- und Freiluft-Kinos den Einbau kostengünstigerer Systeme zu erlauben.

Der Beitrag war das Titelthema des ver.di-Magazins «M» – MENSCHEN – MACHEN – MEDIEN und erschien ursprünglich in der Ausgabe 01/2014